New Work Ansätze gegen psychische Belastungen am Arbeitsplatz
Ansteigende Belastungen bei unserer Arbeit, auch verursacht durch den digitalen Wandel, bedeuten mehr Druck und Stress für Arbeitnehmer und gelten unter Forschern als Hauptursache für psychische Krankheiten wie beispielsweise Burnout. Psychische Krankheiten stellen mittlerweile mit 15,2 Prozent aller Arbeitsunfähigkeits-Tage die drittwichtigste Ursache für Arbeitsunfähigkeit in der Bundesrepublik dar. Im Jahr 2018 dauerte eine durchschnittliche Krankschreibung aufgrund einer psychischen Erkrankung in Deutschland 33,7 Tage (DAK 2019). Neben einem personellen entsteht auch ein enormer wirtschaftlicher Schaden. Die Arbeitsleistung geht zurück, Fehlerquoten erhöhen sich und es entsteht in der Folge eine Mehrbelastung der Kollegen in Unternehmen.
Als Stellschraube zur Verringerung psychischer Belastungen soll das häufig in einem Atemzug mit Digitalisierung und Industrie 4.0 genannte Innovationsfeld „New Work“ Abhilfe leisten. Das Konzept der neuen Arbeit beleuchtet all jene Aspekte, die sich mit Alternativen oder Veränderungen gängiger bzw. veralteter Arbeitsmodelle auseinandersetzen. Im Mittelpunkt von New Work soll das Individuum und seine Potentialentfaltung stehen. Die Arbeit im Dienst des Menschen, hin zu mehr Selbstbestimmung, was sich beispielsweise in Bezug auf Arbeitsplatzgestaltung und Arbeitszeit, eine bessere Vereinbarkeit von Arbeit und Privatleben, aber auch in flacheren Hierarchien und neuen Führungsmodellen wiederspiegeln soll. In der konkreten Ausgestaltung von New Work Konzepten ist es allerdings im Moment sehr auffällig, dass sich der Großteil der meist genannten Maßnahmen auf die Gestaltung der Arbeitsumgebung oder der Arbeitsprozesse beziehen, also im Wesentlichen mit Kontextbedingungen beschäftigen. Erstaunlicherweise befassen sich die wenigsten Ansätze direkt mit dem Menschen und seinen psychophysiologischen Zuständen, wobei der Mensch doch eigentlich der elementare Baustein des Gesamtsystems New Work darstellt. Ein toller Arbeitsplatz mit Sitzsack, Kicker und Creative Space oder der Möglichkeit flexibler Arbeitszeiteinteilung und Home Office Organisation, nützen reichlich wenig, wenn der Arbeitnehmer mit seiner Tätigkeit akut überfordert oder unterfordert ist. Die Folge sind zunächst Symptome und später unterschiedliche Ausprägungen von Burn-out und Bore-out Zuständen.
Der Flow bei der Arbeit
In Form des New Work Companion arbeitet eine Forschergruppe bei dem Unternehmen TAWNY seit 2017 an der Idee einer vorausschauenden Arbeitsorganisation. Wieso gibt es predictive maintenance bei Maschinen in der Produktion, aber noch keinen emotional intelligenten Gehilfen, der uns Menschen dazu verhilft in den Zustand der Entspanntheit gepaart mit fokussierter Aufmerksamkeit zu gelangen und diesen so lange wie möglich auch zu halten? Und noch einen Schritt weiter, wie kann man sich in einen Rausch des Gelingens versetzen. In der Psychologie und Motivationslehre wird dieser Zustand auch „Flow-State“ genannt. Der renommierte Professor Mihály Csíkszentmihályi beschäftigt sich bereits seit Jahrzehnten mit der Erforschung dieses Phänomens. In keinem anderen psychologischen Zustand findet sich der Mitarbeiter so effektiv und effizient arbeitend wieder. Die folgende Abbildung zeigt das Flow-Konzept.
Abbildung 1: Das Flow Modell nach Csíkszentmihályi (1990)
Vor dem Hintergrund einer Anwendung im Arbeitsumfeld stehen alle roten Bereiche für eine Fehlbeanspruchung die dauerhaft zu psychischen Krankheiten und allen damit verbundenen Nachteilen führen kann. Hier driften die Fähigkeiten mit den Anforderungen an einen Job oder eine Tätigkeit auseinander. Der grüne Flow-Korridor hingegen steht für eine hohe mentale Produktivität mit potentiell positiven Effekten auf den Gesundheitszustand, die physische Leistungsfähigkeit und Beurteilung der Arbeitstätigkeit.
Ein KI-gestützter New Work Companion
Die Grundidee des New Work Companion besteht nun darin, die menschlichen affektiven Zustände im Allgemeinen und insbesondere den „Flow-Zustand“ am Arbeitsplatz zu erkennen, um ein Gleichgewicht zwischen individuellen Fähigkeiten und Arbeitsplatzanforderungen zu erreichen. Faktoren, die positive Arbeitsergebnisse fördern oder gar stören, sich also positiv oder negativ auf den Flow-Zustand auswirken, sollen automatisch mittels maschinellen Lernens erkannt und gegebenenfalls variiert werden. Auf diese Weise ist der Zusammenhang zwischen menschlichen Zuständen, Arbeitskontext, Produktivität, Gesundheit und Arbeitsablauf von Interesse.
Derzeit ist der „Flow Zustand“ eines Menschen noch schwer zu quantifizieren, da die Messung vorwiegend noch auf Selbstbeurteilungs-Fragebögen, die während der Ausführung oder sogar nur retrospektiv ausgefüllt werden, beruht. Dieser Ansatz lenkt den Probanden nicht nur vom eigentlichen „Flow-Zustand“ ab, er ist zudem noch sehr zeitintensiv und kann nicht einfach in reale Arbeitsszenarien übergeführt werden. Emotion AI, also die KI-gestützte und automatisierte Erfassung von menschlichen Emotionen, hat nun in den letzten Jahren einen grundlegenden Wandel eingeläutet, wie wir menschliche Emotionen mit Hilfe von Gesichtserkennung, bio-metrischen Vitaldaten (ausgelesen aus Wearables) oder der Sprachanalyse erkennen können. Bei TAWNY wird nun daran geforscht wie basierend auf psychologischen Daten, beispielsweise der Herzratenvariabilität und elektrodermaler Aktivität in Kombination mit einer Gesichtserkennungsanalyse auf Basis von Videodaten der menschliche „Flow Zustand“ automatisiert und in Echtzeit mit Hilfe von künstlicher Intelligenz erkannt werden kann.
Diese Klassifizierung, die weit über die derzeit angewandte Erkennung von Basisemotionen wie Angst, Freude, Überraschung, Ekel etc. hinausgeht, ermöglicht eine fortgeschrittene Emotionsanalyse, in der die einzelnen Zustände des „Flows“ für spezifische Einsatzfälle im Kontext der neuen Arbeitswelt erkannt werden können. Hieraus kann der New Work Companion Maßnahmen ableiten wie wir Menschen mit unserem Arbeitsumfeld und unseren Arbeitswerkzeugen interagieren. Er ist eine Art Fitnesstracker, Ratgeber und Steuerungsapp zugleich, um möglichst viele und lange Flow Erlebnisse bei der Arbeit zu erfahren. Letztendlich ein empathisches und KI-gestütztes Mensch-Maschine Assistenzsystem mit enormem Potential, den Arbeitsplatz spezifisch für jeden einzelnen Mitarbeiter gesünder, sicherer und produktiver zu machen.
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References
DAK Gesundheitsreport, 2019, https://www.dak.de/dak/download/dak-gesundheitsreport-2019-sucht-pdf-2073718.pdf
Csikszentmihalyi M., 1990, “Flow: The Psychology of Optimal Experience”. New York: Harper and Row.
Maier, M., Marouane, C., and Elsner, D., 2019, “DeepFlow: Detecting Optimal User Experience From Physiological Data Using Deep Neural Networks – Extended Abstract”, In: International Conference on Autonomous Agents and Multiagent Systems (AAMAS 2019).