Das 4-Stufen Modell der Emotionalen Intelligenz von Maschinen

Künstliche Intelligenz ist wie die Elektrizität vor ungefähr 100 Jahren

Über alle Branchen hinweg ist dem Thema künstliche Intelligenz (KI) derzeit nicht zu entkommen, und wenn man sich mit Innovation beschäftigt, sollte man das auch nicht. KI verleiht den zentralen Technologiethemen der letzten Jahre, vom Internet of Things über Virtual Reality, selbstfahrende Fahrzeuge, intelligente Agenten bis hin zu smarten Roboter weiteren Anschub. Es geht um die Reise von automatisierten hin zu autonomen Systemen. Der Unterschied liegt darin, dass die Automatisierung vordefinierten Prozessen folgt während autonome Systeme definierte Ziele eigenständig erreichen können. Hierzu werden Entscheidungen autonom getroffen und nicht vorab mit Regeln beschrieben.

Andrew Ng, der Gründer von Coursera sowie ehemalige AI-Verantwortliche bei Google und Baidu beschreibt künstliche Intelligenz als die neue Elektrizität. Eine sehr treffende Analogie, wenn man sich vor Augen hält, dass elektrische Energie die Mobilität, Industrialisierung, Landwirtschaft, Medizin und den gesamten Alltag der Menschen von Grund auf umgekrempelt hat. Der Zugang um die großen Potenziale der KI für das eigene Unternehmen zu begreifen, liegt also in der Frage: Was hat eigentlich die Einführung der Elektrizität bei den Unternehmen verändert? AI wird sich ähnlich auf heute existierenden Industrien auswirken. Auf einen Zeitstrahl gebracht, stand für die Bewältigung der Herausforderungen im 19. Jahrhundert die menschliche Gehirnleistung zur Verfügung, im 20. Jahrhundert haben wir Computer programmiert die unserer Probleme lösen sollen und im 21. Jahrhundert werden Computer mit KI andere Computer programmieren die unsere Probleme lösen.

Die vier Stufen der Emotionalen Intelligenz

Als Anwendungsbeispiele für KI werden häufig Chatbots für die Kundenkommunikation, automatisierte Werbeanzeigen, vorausschauende Wartung auf Basis von Geräte- und Maschinendaten, Lager- und Wegoptimierung, Diagnosesysteme in der Medizin oder selbstfahrende Autos genannt. Im Wesentlichen geht es bei diesen Anwendungen um die Verbesserungen von Maschinen und/oder Prozessen durch Autonomisierung und selbstlernende Systeme. Die Effizienz soll maximiert werden. Der nächste und bisher kaum eingeschlagene Entwicklungspfad in der KI-Welt wird die Berücksichtigung des Faktors „Mensch“ sein. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von emotionaler Intelligenz (EI), die dem wissenschaftlichen Feld des Affective Computing zuzuordnen ist. Dieser interdisziplinäre Ansatz im Bereich Computerwissenschaften und Psychologie beschäftigt sich mit der Erforschung und Entwicklung von Systemen, die menschliche Emotionen erkennen und interpretieren können. Ziel ist es dabei, Maschinen zu befähigen den emotionalen Zustand des Anwenders zu berücksichtigen und das Verhalten so zu adaptieren, dass es eine angemessene Reaktion auf die Emotionen darstellt.

Wie in Abbildung 1 dargestellt kann EI oder der Emotionsquotient (EQ) von Dingen in vier Levels klassifiziert werden.

Abbildung 1: Die 4 Stufen der Emotionalen Intelligenz von Maschinen (eigene Darstellung)

Level O

Der Level 0 steht für einen EQ von Null. Im Moment trifft dieses Level wohl auf 99% aller Maschinen auf diesem Planten zu. Eine Industrieanlage oder auch ein Taschenrechner haben keinerlei Zugang zu dem affektiven Zustand ihrer Nutzer. Sie dienen dem Menschen lediglich als Werkzeug und Erleichterung, um Aufgaben, wie z.B. kompliziertes Kopfrechnen, zu erledigen. Auch sogenannte „smarte Chatbots“ gehören diesem Level an. Fragen Sie Alexa gerne einmal „Alexa, wie fühle ich mich?“, die Antwort wird Sie enttäuschen.

Level 1

Simulierte EI (Level 1) ist in regelbasierten Systemen und Assistenten vorzufinden, die an menschliche Emotionen appellieren oder Annahmen treffen, dass sich ein Mensch in einem bestimmten Zustand (wie z.B. Stress) befindet. Ein Beispiel hierzu ist die seit 2009 eingeführte Anzeige der kleinen Kaffeetasse im Auto Cockpit, die in Abhängigkeit der gefahrenen Kilometer signalisieren soll, ob der Fahrer nicht vielleicht etwas müde und unaufmerksam ist. Weiteres Beispiel ist die in den 90er Jahren aus Japan stammende Erfolgsgeschichte des Tamagotchi. Ein elektronisches Küken, das in Abhängigkeit der Zuwendung bzw. Nutzungsintensität zufrieden ist oder stirbt, um daraufhin wiederbelebt werden zu können. Der Begriff „Tamagotchi-Effekt“ wird im Zusammenhang mit der Entwicklung gegenseitiger emotionaler Bindung zwischen Maschinen und Robotern verwendet.

Level 2

Von einer echten emotionalen Intelligenz kann man allerdings erst in Level 2 sprechen. Das Forschungsprojekt und Startup TAWNY.ai ist ein Beispiel für diese Stufe. Mit Hilfe von Armbändern werden biometrische Daten wie Herzratenvariabilität oder elektrodermaler Widerstand der Haut gemessen, um im Anschluss die menschlichen Emotionen und Zustände der Über- und Unterforderung sowie Flow zu klassifizieren. Diese Information wird im Anschluss an vernetzte Geräte weitergegeben, um diese empathisch zu machen. Autos wissen wie aggressiv ihr Fahrer ist und können die Fahrerassistenzsysteme entsprechend autonom anpassen. Das Smarthome weiß bei welchen Einstellungen sich die Bewohner am wohlsten fühlen. Der Fernseher gibt Programmempfehlungen abhängig von der Stimmung des Zuschauers. Die Arbeitsstätte passt sich dem mentalen Zustand der Mitarbeiter an. Dieser Level emotionaler intelligenter Produkte und Services birgt das Potential eines Game Changer für ganze Industrien zu sein, da es eine völlig neue Dimension zur Verbesserung der Arbeitszufriedenheit, der Arbeitssicherheit und der Individualisierung von Anwendungen ermöglicht. Hierfür spricht auch der geradezu explodierende Markt für Emotionserkennungstechnologie. Waren es 2016 noch knapp 7 Milliarden, wird für 2021 ein Marktvolumen für von 36 Milliarden Dollar erwartet.

Level 3

Der Level 3 wird noch innerhalb der nächsten 20 Jahre erreicht sein. Durch den multimodalen Input von kamerabasierter Mimik-Erkennung, Sprachanalyseverfahren, textbasierter Sentiment-Analyse und Vitaldaten wird man ein 24/7 Emotionsprofil zusammensetzten, um die Umgebung jedes Menschen an seine Emotions- und Stimmungswelten sowie mentalen Allgemeinszustand anzupassen. Vor dem Hintergrund, dass Menschen eben nicht die Rationalitätsannahme des homo oeconomicus erfüllen, wäre eine Messbarkeit und Prognose gefühlsgetriebener Handlungen ein Meilenstein in der Konsumentenforschung.

Level 4

Ob es Ziel sein sollte den Level 4 der emotionalen Intelligenz anzustreben bleibt einer komplexeren Diskussionen vorbehalten. Hier geht man davon aus, dass Roboter eigene Gefühle entwickeln können und nicht nur die von Menschen erkennen können, um diesen besser zu dienen. Viele Länder und Organisationen beschäftigen sich gerade damit wie man AI regulieren kann oder soll. Die Diskussion wird befeuert von prominenten Personen wie Elon Musk, Stephen Hawking oder Bill Gates. Auf der einen Seite steht das Bild einer Technologie Apokalypse verursacht durch die unethische und selbstbestimmte Verbreitung der KI, auf der anderen Seite stehen die immensen wirtschaftlichen Potenziale durch autonome Systeme und damit die Möglichkeit den Wachstumshunger einer globalisierten Welt zu stillen.

Ausblick: Die Innovationsfähigkeit ist der Überlebensfaktor im digitalen Wandel

Wer das Thema Innovation nicht ganz oben auf der Agenda hat, hat den Schuss der digitalen Transformation nicht gehört. Der digitale Darwinismus in Form einer Auslese nach dem Prinzip „adapt or die“ trifft auf so gut wie alle Branchen zu. Natürlich läuft dieser Prozess abhängig von dem Betätigungsfeld in unterschiedlicher Geschwindigkeit ab, er ist aber genauso wenig zu verleugnen wie der Klimawandel. Der Ursprung liegt in den Hyperentwicklungen unserer Zeit. Die Weltbevölkerung, das verfügbare Wissen, der Welthandel, die Rechenleistung oder die Anzahl vernetzter Geräte nehmen allesamt nicht linear sondern exponentiell zu. Gegensätzlich ist die Entwicklung dr durchschnittlichen Lebensspanne von Unternehmen, die sich beispielsweise in der USA seit Mitte der 90er Jahre auf unter 20 Jahre halbiert hat und weiter sinkt. Vor diesem Hintergrund wirken die häufig wenig progressiv ausgestalteten  Innovationsinitiativen viele Unternehmen wie Placebos und nicht als ehrliche Schritte der Neuerfindung. Die Unentschlossenheit etwas auszuprobieren stellt das größte Innovationshemmnis dar. Innovation im digitalen Wandel erfolgt eben nicht mehr nach klaren Input-Output Regeln der bekannten Entwicklungsprozesse, sondern in offenen und teilweise chaotischen Systemen, denen man mit Paradigmen wie Agilität, Selbstorganisation und einem bewussten Umgang mit Unsicherheit begegnen muss.

Auch bei der Entwicklung von KI und EI Systemen gibt es natürlich immer hundert Gründe dieses zukunftsweisende Innovationsfeld nicht anzufassen. Hierzu zählt der besondere Schutz von gesundheitsbezogenen Daten, die potentiell bedrohlichen Auswirkungen von KI auf den Arbeitsmarkt, Cyber-Risk, Fachpersonalmangel oder große Startinvestitionen, die sich nur auf längere Zeit rechnen können. Trotzdem wird man sich der in den vier Levels skizzierten EI-Entwicklung nicht verweigern können. Die Zukunft wird ein empathisches Miteinander von Mensch und Maschine sein. Diese Zukunft gilt es aktiv nach dem Prinzip des Human-Centered-Designs zu gestalten. Zum einen als Vertreter der Verbraucher, die als transparente Menschen mehr oder weniger bereitwillig ihre Daten zur Verfügung stellen, aber durchaus auch als Vertreter der Industrie, die auf dem Weg zu einer vernetzten „Superintelligenz“ Geschäftsinformationen, Know-How und datenbasierte Businessmodelle geschützt sehen will. 

Would you like to download this article?