Auf dem Weg zu einer neuen, offenen Welt
Die Vernetzung der Welt nimmt von Tag zu Tag zu. Verkehrswege auf dem Land, in der Luft und auf dem Wasser ermöglichen Mobilität und die Versorgung mit Waren bis in die entlegensten Winkel der Erde. Energieversorgungsnetzte überspannen den Globus. Wirelesss Communication und die dem Internet zugrundeliegenden Datenhighways erlauben die nahezu uneingeschränkte Verbreitung von Information und Wissen unter Milliarden von Menschen. Waren es in den vergangenen Jahrzehnten noch die technischen Innovationen, die den Aufbau dieser Infrastrukturen überhaupt erst ermöglicht haben, werden in Zukunft verstärkt die daraus resultierenden sozialen und digitalen Innovationen unser Leben mitbestimmen. Wie ein roter Faden lässt sich hierbei das Prinzip der Offenheit bei einigen der weitreichendsten Veränderungen und Trends der Gegenwart wiederfinden.
In der Wirtschaft werden die starren Modellgedanken bestehender Innovationsprozesse in Frage gestellt. Open Innovation heißt das Zauberwort. Hierbei entstehen neue Produkte nichtmehr am Reißbrett hinter den verschlossenen Türen der Entwicklungslabore, sondern im Rahmen interaktiver Wertschöpfungsnetzwerke mit Mitarbeitern, Kunden und privaten Verbrauchern. Bei dem als Open Innovation Pionier geltenden Konsumgüterriesen Procter&Gamble (P&G), stammen inzwischen bis zu 50% der Produktentwicklungen aus externen Quellen bei gleichzeitiger Verdopplung der Produkterfolgsrate.
Open Health Care steht für die zunehmende Vernetzung von Patienten. Auf Onlineplattformen mit mehreren hunderttausend Mitgliedern werden Krankheitsakten und Informationen zu Krankheitsverläufen und Behandlungsoptionen ausgetauscht, um anderen Betroffenen damit helfen zu können. Die Plattformen healthboards.com oder patientslikeme.com sind zwei prominente Beispiele hierfür.
Open Education läutet einen Umbruch im Bildungswesen ein. Websites wie academicearth.com ermöglichen den weltweiten Zugang zu freien Bildungsangeboten von Hochschulen wie Oxford, Camebridge, Harvard, MIT u.v.a.
Open Science & Open Research bezeichnen die Initiativen, die einen freien Zugriff auf Forschungsergebnisse, z.B. in Form von wissenschaftlichen Artikeln, ermöglichen. Die Idee einer offenen Wissenschaft im Netz beruht auf dem Open Source Prinzip im Softwarebereich, das bereits Ende der 90er Jahre seinen Siegeszug startete.
Die Open Society ist geprägt durch den Aufschwung der sozialen Medien. Social Networking ist die häufigste Online Aktivität überhaupt. Mehr als 80% der weltweiten Internet-Gemeinde von 15 Jahren und älter nutzen Facebook, Google+, Twitter, Xing und Co. Die Massen beteiligen sich weltweit in mehreren hundert Millionen Online Communities und Blogs aktiv an der Erstellung medialer Inhalte. Wikipedia hat sich als Gemeinschaftswerk zur größten Enzyklopädie der Menschheit entwickelt. Die digitale Revolution ist ein derartig drastischer Wandel wie wir ihn nur alle paar Jahrhunderte erleben und ist nicht weniger weitreichend wie beispielsweise die Erfindung des Buchdrucks, die erstmals eine breite gesellschaftliche Bildung ermöglichte und ohne die Aufklärung, Wissenschaft, Demokratie oder Marktwirtschaft, wie wir sie heute kennen, nicht denkbar gewesen wären.
Die Neue Offenheit in der Politik
Die Neue Offenheit steht folglich für Vernetzung, für neue Formen der Beteiligung, Koordination und Selbstorganisation sowie generell für Innovationen, die notwendig geworden sind, um der steigenden Komplexität einer vernetzten Welt zu begegnen. US-Präsidenten Obama hat bereits in seiner vergangen Legislaturperiode ein Leitbild des Open Government geprägt, um den Anschluss von Staat und Verwaltung an das Internetzeitalter mit all seinen Möglichkeiten des Meinungs- und Wissensaustausches und Partizipationsmöglichkeiten im Netz zu finden. In einem gemeinschaftlichen Projekt des U.S. Patentamts und der New York Law School werden Patentanträge im Internet veröffentlicht (peertopatent.org). Bürger unterstützten das chronisch überlastete Patentamt dabei die Anträge hinsichtlich des Stands der Technik und damit der Patentierfähigkeit zu prüfen. Die beschränkten Recherchemöglichkeiten eines einzelnen Patentprüfers werden durch eine hochgradig spezialisierte Arbeitsteilung mit externem Expertenwissen erweitert, mit dem Ziel die Qualität der Patente zu steigern und die Patenverletzungsklagen zu senken. Das Projekt ist aufgrund seines großen Erfolges nun auch in UK gestartet. Es gibt viele weitere Beispiele. In Texas sind Überwachungskameras an den Grenzzäunen zu Mexiko installiert. Die Bilder werden in Echtzeit via Internet übertragen, so dass jeder Internetuser als „Virtual Texas Deputy“ illegale Einwanderungsversuche zu jeder Tages- und Nachtzeit melden kann. Auf der Plattform challenge.gov rufen knapp 50 Ministerien und Regierungsbehörden die Öffentlichkeit dazu auf, aktiv an der Lösung aktueller Probleme und Herausforderungen mitzuwirken. Die Bandbreite beginnt bei der Neugestaltung des Katastrophenschutzes bis hin zur Entwicklung neuer digitaler forensischer Verfahren für das Verteidigungsministerium. Passende Ideen und Innovationen teilnehmender Experten und Bürger werden landesweit diskutiert, bewertet und mit Preisgeldern belohnt. Auf der Plattform, die 2009 im Rahmen der „Strategie für amerikanische Innovationen“ ins Leben gerufen wurde, werden bereits mehr als 220 dieser „Challenges“ bearbeitet.
Auch in Deutschland scheinen die Zeiten, in denen die Bürger lediglich alle paar Jahre ein Häkchen auf einem Wahlzettel setzten, endgültig überholt zu sein. Die „one-way“-Kommunikation klassischer Medien, statischer Internetseiten und E-Mail Newslettern ist schlichtweg nicht mehr konform zu den heutigen Möglichkeiten der Mitsprache, Kollaboration und Integration der Bürger und damit einer tiefer verwurzelten demokratischen Legitimierung. Die Kur- und Kneippstadt Bad Wörishofen hat ihre Bürger dazu aufgerufen, Ideen, Meinungen und Vorschläge zu einem neuen Großbaugebiet, zu einer neuen Turnhalle, zu dem Umbau des Freibades und zu anderen kommunalpolitischen Fragestellungen einzureichen und zu diskutieren (www.buergerhaushalt.bad-woerishofen.de). Unter dem Leitmotiv „Solingen spart“ sind Bürger angehalten Wege zu einem Sparziel von 45 Mio. Euro jährlich vorzuschlagen (www.solingen-spart.de). Mehr als 10.400 Hinweise auf Infrastrukturprobleme wie Schlaglöcher, fehlende Fahrbahnmarkierungen, unnötige Barrieren für ältere oder behinderte Menschen u.v.m. umfasst mittlerweile das Portal „Maerker“ für Kommunen in Brandenburg (www.maerker.brandenburg.de). In Frankfurt können Bürger die Pläne für die zukünftige Entwicklung der Stadt, von der Verkehrsberuhigung bis hin zur Spielhallenflut in Rödelheim kommentieren, bearbeiten und selbst gestalten (www.frankfurt-gestalten.de). In Deutschland gibt es auf kommunaler Ebene mittlerweile mehr als 270 Bürgerhaushalte, die eine Partizipation der Bürger bei der politischen Gestaltung ermöglichen und Bürger nicht nur informieren sondern konsultieren. Im Projekt „Aufbruch Bayern“ der Bayerischen Staatsregierung wurden bereits 2010 die bayerischen Bürger aufgerufen sich aktiv an der Erarbeitung des nächsten Regierungsprogramms für die Bereiche Bildung, Familie und Innovation zu beteiligen. Mehr als 2.000 registrierte Nutzer bewerteten online in 6.300 Diskussionsbeiträgen insgesamt 740 Vorschläge. In nur zehn Wochen wurden kumuliert mehr als drei Arbeitsjahre von den Bürgern auf der Plattform verbracht. Die vieldiskutierte Bürgeridee für Elektroautos kostenlose Parkplätze zur Förderung umweltfreundlicher Fahrzeuge einzurichten, hat der Ministerrat an die Gemeinden als Empfehlung ausgesprochen. Im Sinne eines Political Agenda Setting werden zunehmend Parteiprogramme, Strategien und Leitbilder öffentlich diskutiert und gemeinschaftlich erstellt.
Die Zukunft des Open Government
Bei den oben angeführten Beispielen handelt es sich lediglich um einen kleine Auswahl an einer täglich wachsenden Zahl von Initiativen. Die tragenden Säulen des Open Government sind hierbei stets, erstens Transparenz (Veröffentlichung und Aufbereitung öffentlicher Daten und Verfahren; Open Data), zweitens Partizipation (neue Formen der Mitbestimmung wie Vorschlagswesen oder Bürgerhaushalte) und drittens Kollaboration (gemeinschaftliche Wertschöpfung; Innovationswettbewerbe; Bürgerintegration in Verwaltungsprozesse). Anstatt die neuen Chancen zu umarmen begegnet man in der politischen Welt vielerorts großer Skepsis. Die Realität ist, dass uns im Gegensatz zum privatwirtschaftlichen Bereich, die genannten Instrumentarien zum größten Teil noch fremd sind. Die uns vertraute politische Welt hat klare Strukturen und Anforderungen, eine Demokratie 2.0 hingegen, wird noch mit vielen offenen Fragen verbunden:
Wie steht es um die Qualität und Effizienz der Netzdemokratie?
Sind Online-Bürgerbeteiligungen nicht lediglich eine Form der Sozialromantik ohne Verbindlichkeit und Nachhaltigkeit in der realen Welt?
Wie ist es um den Datenschutz bestellt? Erhalten kleine, mobilisierbare Gruppen überproportionalen Einfluss?
Insbesondere zum Datenschutz liegen noch nicht immer befriedigende Antworten vor. Der derzeitige unstimmige Entwurf der EU-Datenschutzverordnung wird die Planungssicherheit leider auch nicht verbessern. Zu vielen anderen Fragen jedoch, gibt es bereits klare Gestaltungsempfehlungen, unter deren Beachtung beachtliche politische Erfolge erzielt werden.
Die Neue Offenheit gerade in dem Bereich der Politik zu verschlafen, birgt auf lange Sicht wohl das größte Risiko. Gerade in Zeiten des steigenden Systemmisstrauens, abnehmender Handlungsfähigkeit durch öffentliche Verschuldung und stetig sinkender Wahlbeteiligung ist es an der Zeit, über neue Formen der Arbeitsteilung auch im öffentlichen Sektor nachzudenken. Das Gefühl obskuren politischen Entscheidungen machtlos gegenüber zu stehen und der Vertrauensverlust durch Nicht-Integration, vermag langfristig das gesamte demokratische Gemeinwesen in Frage stellen.
Es ist sicherlich nicht Sinn und Zweck von Open Government, die repräsentative Demokratie durch eine neue Form der Basisdemokratie zu ersetzen. Ganz im Gegenteil. Die politischen Ereignisse treten national und weltpolitisch in einer noch nie dagewesenen Geschwindigkeit und Vielfalt auf und drohen somit immer mehr von der Rhythmik parlamentarischen Entscheidungsprozesse abzuweichen. Open Government kann diesbezüglich als Synchronisierungsinstrument eingesetzt werden und den Reifungsprozess politischer Entscheidungen durch die proaktive Einbindung der Bürgermeinung beschleunigen. Der Spagat zwischen Tradition und Innovation ist schwer, sollte uns aber nicht von einer Revitalisierung bürokratischer Strukturen abschrecken, um Mitbestimmung, Offenheit und Diskurs, auf ein für unsere digital vernetzte Gesellschaft angemessenes Niveau zu bringen.